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Türkei: Reden über sexuelle Folter kann strafbar sein (..und im Odenwald Reden über Behördenwillkür)
"Weil die Verhandlung gegen 19 Angeklagte wegen Ermittlungspannen nach zehn Minuten vertagt wurde, brauchte er die anwesenden Frauen nur selten zu ermahnen, nicht mit überkreuzten Beinen dazusitzen. Das gilt in der Türkei als unschicklich und ist besonders in so einem hohen Hause verpönt. Die 18 angeklagten Frauen hielten sich an die Regel, die europäischen Prozessbeobachterinnen vergaßen sie allzu oft und wurden durch strenge Blicke zur Ordnung gerufen. Für den einzigen Mann unter den Angeklagten und die männlichen Besucher galt dieses Verbot nicht. Von dem Anstand, den man hier pflegen will, haben einige der angeklagten Frauen in der Vergangenheit von Polizeiseite nichts erfahren. Nasle Top ist eine von ihnen. Als sie 1992 von ihrer Arbeitsstelle im Krankenhaus nach Hause ging, wurde sie von einem Polizeikommando in ein Auto gezerrt, auf die Polizeiwache geschleppt und dort vergewaltigt...Das ist nun 10 Jahre her und in dieser Zeit hat sie alles mögliche unternommen, um die Täter verurteilt zu sehen ... leider erfolglos ... In dem Prozess, der gestern (Anm.: 25.6.2002) vor dem Istanbuler Schwurgericht in seinen fünften Verhandlungstag ging, werden Opfer wie Frau Nasle Top, zu Täterinnen gemacht...Vorwurf: "Verunglimpfung und Verleumdung des Staates und seiner Organe". Quelle: graswurzel.net
Wer glaubt, dass die bundesdeutsche Justiz zur infamen Verdrehung von Täter-und Opferrolle nicht fähig wäre, irrt.
Immer wieder gab es Übergriffe von Polizisten, angeklagt sahen sich mitunter jedoch die Opfer dieser Übergriffe: Wegen angeblichen Widerstands gegen die Staatsgewalt (oder wegen "Verleumdung"). Vor einiger Zeit warf ein Kirchenmann einem Odenwälder Behördenleiter vor, gegen ein Mitglied seiner Gemeinde "Rufmord" zu betreiben und dessen Menschenwürde anzutasten bzw. zu "zerstören". Aber nicht dem Behördenleiter liegt eine Anklageschrift vor, sondern dem Gemeindemitglied - als dessen angebliches "Opfer" und als Zeuge ist jener Behördenleiter geladen, dem der Vorwurf des Pfarrers galt. Die "Anklageschrift" datiert vom Mai 2001 - seither setzt sie Staub an. Ist es auch hier eine Infamie, die die Verantwortlichen vor der Verhandlung der "Anklage" zurückscheuen lässt? (Vielleicht ist die bizarre "Anklage" selbst jene Straftat, die sie dem Angeklagten vorwirft: Falsche Verdächtigung - §164 StGB - und zudem Verfolgung Unschuldiger - §344 StGB. Allerdings werden in Deutschland Straftaten von Richtern und Staatsanwälten faktisch so gut wie nie verfolgt, womöglich kommen sie gerade deswegen gar nicht selten vor.)
Gegen die ursprüngliche Absicht der Staatsanwaltschaft war es der Michelstädter Ermittlungs- und Amtsrichter Helmut Schmied, der das Gemeindemitglied angeklagt sehen wollte. Dem Mann, in dessen angeblich falsch verdächtigenden und verleumdenden Worten er schon im voraus Schuld erkannt haben wollte, will er völlig unbefangen als Strafrichter den Prozess machen. Ein honoriger Odenwälder Anwalt, der die Absichten von Schmied aus den Unterlagen herauslas, lehnte das Mandat ab - und empfahl einen Strafverteidiger, "der nach Möglichkeit seinen Sitz nicht im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichtes Michelstadt haben sollte." (!) Was er damit wohl meinte? Fürchtete "der im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichtes Michelstadt" tätige Anwalt am Ende gar Schikanen oder berufliche Nachteile? Noch, so hofft man doch, ist der Odenwald in juristischer Hinsicht keine Türkei.
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